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Am 27.02.2020 werden zwei Freundinnen am Flughafen und auf der Arbeit vom BKA abgefangen, um ihnen an Ort und Stelle DNA abzunehmen. Der richterliche Beschluss beschuldigt sie der Brandstiftung an Autos der Deutschen Bahn vor etwa zehn Jahren. Danach werden den zwei Betroffenen zehntausende Seiten Akten zugesandt. Diese umfassen Ermittlungsverfahren aus über 15 Jahren, davon sind einige eingestellt. Die hier geschilderten Inhalte beruhen ausschließlich auf den uns vorliegenden Akten. Gegen die Beschuldigten und ihr Umfeld wird jahrelang ermittelt. Sie werden in immer neuen Bezugsrahmen zu Verdächtigen, Beschuldigten, und zu “geistigen Brandstifterinnen”.
Das BKA versuchte ein §129-Verfahren zu eröffnen (“Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung”), was nach Kenntnisstand der Akteneinsicht im April 2020 von der Staatsanwaltschaft abgelehnt wurde. Trotz zehntausender Seiten gibt es große Lücken.

§129 – kennen wir schon

Momentan laufen bundesweit verschiedene Strukturermittlungsverfahren. Der Staat benutzt unter anderem den §129 um Strukturen, Freundeskreise und private Leben einzuschüchtern und zu überwachen. Diese Verfahren in Frankfurt, Leipzig, Hamburg, Berlin und die Verurteilungen gegen die 3 von der Parkbank sind nur ein Teil der Repression, die widerständige Strukturen unterdrücken soll. Bullen, Gerichte und Politiker*innen treiben diese Verfahren voran. Wir halten nichts von der Justiz und lehnen den Staat und das Konzept der Strafe ab. Staat und Strafe sind Teil von Herrschaft und damit von vielen sozialen Problemen, wie zum Beispiel Armut. Dies steht einem freien und glücklichen Leben entgegen. Wir wehren uns nicht gegen ihre Vorwürfe, sondern gegen die Repression. Die Akten erfreuten uns in vielen Momenten, weil in ihnen Akte des Widerstands dokumentiert wurden, in denen Aktionen gegen die herrschenden Verhältnisse sichtbar sind.
Wir als Soliumfeld wollen das Verfahren gegen die beiden Betroffenen begleiten.
Spekulationen und Getratsche helfen den Repressionsbehörden! Keine Kooperation mit Behörden! Keine Aussagen! Keine Gerüchte!

Das Haar in der Tüte

Im Rahmen von Aktionen gegen den Polizeikongress wurde das SWP (Deutsches Institut für internationale Politik und Sicherheit – Stiftung Wissenschaft und Politik) in Berlin am 02.02.2010 mittels einer “Detonation” angegriffen. In der Interim 705, ist unter dem Titel “Neuro-Enhancer für die Schreibtischtäterinnen des SWP – Soziale Kontrolle sabotieren und den Polizeikongress angreifen” eine Erklärung zu dieser Aktion abgedruckt: Gegen „ihre blutige und kriegerische Forschung unter dem Denk- [sic!] mantel der zivil-militärischen Zusammenarbeit und der friedensbringenden Bombadierpolitik” (linksunten.indymedia.org).
Im gleichen Jahr fand in Berlin eine Hausdurchsuchung statt – Vorwurf: “Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion” am SWP “u.a. Straftaten”, zeitgleich lief gegen die beschuldigte Person auch ein 129er Verfahren.
Bei dieser Durchsuchung wurde neben anderen Sachen eine Tüte beschlagnahmt, in der sich unterschiedliche Dinge wie Handschuhe, Kassenbons, Tierhaare, eine Erklärung zu Brandanschlägen auf DB-Autos, Tierprospekte und menschliche Haare befunden haben sollen. Bei der DNA- Analyse der Haare wurde eine weibliche DNA festgestellt, die nicht der Person zugeordnet wurde, deren Wohnung durchsucht worden war. Die Bullen versuchten weitere Personen zu ermitteln und suchten fortan nach der Trägerin der weiblichen DNA.

Brennende DB-Autos

Am 23. und 24. April 2010 gab es in Berlin-Prenzlauer Berg und Kreuzberg Brandstiftungen an Autos der Deutschen Bahn. Laut Bullen wurde ein Bekenner*innenschreiben hinterlassen und auf Indymedia veröffentlicht: “Unsere militante Intervention unterstützt die Forderung nach Entschädigung für Opfer des NS-Regimes und ihre Angehörigen.” Diese beiden Aktionen wurden in einem Ermittlungsverfahren zusammengeführt (DB-Verfahren).

Das BKA ermittelt

Das BKA ermittelte im Rahmen des DB-Verfahrens weiter gegen das Umfeld der Beschuldigten, deren Wohnung durchsucht worden war. Mit sog. “strafprozessualen Maßnahmen” und Ermittlungen wurden 140 “Kontaktpersonen” ermittelt. Diese Massnahmen umfassten laut Akten die Überwachung des Festnetztelefons und des Handys der Beschuldigten (TKÜ- Telekommunikationsüberwachung), Auswertung der Verbindungsdaten der Telefonanschlüsse und Email-Accounts, polizeiliche Erkenntnisse wie gemeinsame Festnahmen, vorgeworfene Straftaten, Meldedaten, Reisebewegungen, Personal- und Grenzkontrollen, Auswertung des Terminkalenders, Observationen, Auswertung der Kontounterlagen, Knastbesuche (die Beschuldigte war in der Vergangenheit im Knast).
Von 140 vermeintlichen “Kontaktpersonen” wurden aufgrund von Häufigkeit und der Intensität der Kontakte 18 weibliche Personen als angeblich “engere Kontaktpersonen” identifiziert. Darunter die beiden Freundinnen. Dies brachte den Bullen keine Erkenntnisse zur Herkunft des Haares. Zwei Jahre später änderte sich was…

War starts here – let’s stop it here!

“Kommt zum internationalen antimilitaristischen Camp gegen das Gefechtsübungszentrum der Bundeswehr (GÜZ)! Das GÜZ ist für Bundeswehr, NATO und EU ein zentraler Ort. Hier beginnt der Krieg, der weltweit geführt wird. Wir wollen das Camp zu einem zentralen Ort der Bündelung antimilitaristischer Kämpfe machen. […] Krieg beginnt hier, wir wollen ihn hier markieren, blockieren, sabotieren!” Aufruf zum WarStartsHere-Camp 2012 (autonomesblaettchen.noblogs.org).
Auf dem Gefechtsübungszentrum Altmark (GÜZ) wurden im Jahr 2012 Taschen mit Farbfeuerlöschern gefunden. Das LKA Sachsen-Anhalt nahm Ermittlungen wegen Hausfriedensbruch, bzw. “Versuchter Sabotage an Wehrmitteln” auf. Die gefundenen Sachen wurden auf DNA untersucht. Angeblich gab es einen Spur-Spur-Treffer (3) mit der unbekannten DNA vom Haar in der Tüte (Hausdurchsuchung 2010 in Berlin) .
Nach dieser DNA- Treffermeldung nahm das LKA Sachsen Anhalt die “18 engen weiblichen Kontaktpersonen” des BKA unter die Lupe, auch die beiden Freundinnen. Wegen ihres Engagements gegen das GÜZ und dem angeblichen Kontakt zu einer*m Beschuldigte*n in dem Verfahren der „Versuchten Sabotage“ (GÜZ) gerieten die beiden verstärkt ins Visier. Die Staatsanwaltschaft Stendal nahm die beiden Freundinnen als Beschuldigte in das Verfahren (Versuchte Sabotage GÜZ) auf. Außerdem wurden DNA-Abnahmen und Hausdurchsuchungen beantragt. Das Amtsgericht Stendal lehnte beides 2014 ab.

Oury Jalloh, das war Mord!

In Berlin-Neukölln fand zum 10. Todestag von Oury Jalloh, der 2005 in einer Bullenwache in Dessau ermordet wurde, eine Demo mit Glasbruch/Sachschaden statt. Auf Indymedia findet sich ein Bericht dazu: “Für gestern, den 10.01., hatten wir zu einer Demonstration in Neukölln aufgerufen um Ourys Ermordung auch zehn Jahre nach der Tat öffentlich zu skandalisieren und seine Mörder und die rassistischen Verhältnisse zu benennen. […] ”
Das LKA Berlin leitete ein Strafverfahren wegen “besonders schwerem Landfriedensbruch und gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr” ein. In der Nähe wurden Dinge wie Pflastersteine oder Farbbeutel eingesammelt und auf DNA-Spuren untersucht.
Eine gefundene und analysierte weibliche DNA wurde in die DNA-Datenbank eingespeist: Es soll zu zwei Spur-Spur-Treffern gekommen sein: mit der DNA des Haares in der Tüte (bei der Hausdurchsuchung 2010) und mit der 2012 auf dem GÜZ gefundenen DNA (Versuchte Sabotage GÜZ).

Was geschah in der Schweiz?

Im Juli 2015 wurde die Person, die die Hausdurchsuchung 2010 in Berlin hatte, in der Schweiz festgenommen und wegen mehrerer Aktionen zu 3,5 Jahren Knast verurteilt. Laut Akten und Medienberichten kooperierte die Person, und gab diese Taten zu. Obwohl sie anscheinend keine Namen nannte, wurde durch ihre Aussagen klar, dass weitere Personen beteiligt waren.

Von den Treffermeldungen…

Nach den DNA Spur-Spur-Treffermeldungen (Haar in der Tüte, GÜZ, Oury-Jalloh-Demo) nahm die Staatsanwaltschaft Berlin auf Anregung des BKA im Juli 2016 das DB-Verfahren wieder auf. Die Strafverfolgung wurde dem BKA übertragen. Auf der Suche nach angeblichen Mittäter*innen der beschuldigten Person wurde wieder u.a. gegen die 18 “engen weiblichen Kontaktpersonen” ermittelt. Das BKA fragte bei LKA’s und Verfassungsschutzämtern nach allgemeinen polizeilichen Erkenntnissen, solchen mit zeitlichem und örtlichem Zusammenhang mit der versuchten Sabotage an Wehrmitteln (GÜZ) und der Oury-Jalloh-Demo in Neukölln. Meldeadressen und Strafregistereinträge wurden eingeholt. Es wurden bei einigen Betroffenen zusätzlich Auskunftsersuchen an zahlreiche Behörden, wie Jobcenter und Rentenversicherung, sowie bei Arbeitgeber*innen gestellt, um persönliche Informationen zu ermitteln (Telefonnummern, E-Mail-Adressen).
Auch die Bankkonten einzelner Personen wurden ausgewertet und Auskunftsersuchen an Internetforen, Deutsche Bahn usw. gestellt, um weitere Angaben zur Person, wie genutzte Rufnummern und Accounts, andere Kontoverbindungen, Kartenverträge, Zahlungsmodalitäten herauszufinden…
Bis ins Jahr 2019 finden sich in den Akten diese Anfragen zu den “18 engeren weiblichen Kontaktpersonen” und zu Personen aus dem Umfeld der Beschuldigten.
Im Zuge der Ermittlungen wurden im Juli 2017 die Freundinnen als weitere Beschuldigte im DB-Verfahren eingetragen.

…zur DNA-Abnahme

Im April 2019 regte das BKA an zu prüfen, ob der Tatvorwurf um den einer kriminellen Vereinigung nach §129 erweitert und das DB-Verfahren mit dem GÜZ- und Oury-Jalloh-Verfahren verbunden werden könne.
. Außerdem wollten sie eine DNA-Abnahme und erkennungsdienstliche Behandlung, Hausdurchsuchungen und Überwachungsmaßnahmen gegen die beiden Freundinnen erwirken. Diese Maßnahmen (Überwachung ihrer Handynummern, der IMEI (1), ihrer E-Mailadressen, längerfristige Observation, Einsatz von IMSI-Catchern (2) und Stiller SMS) sollten offiziell drei Monate dauern und angeblich verwertbare Informationen zu ihren Aufenthalts- und Wohnorten ergeben. Bei den Hausdurchsuchungen sollte gezielt nach Gegenständen oder Unterlagen/ Datenträgern gesucht werden, die Informationen über andere Personen ergeben.
Die Staatsanwaltschaft Berlin lehnte alles bis auf die DNA-Abnahmen ab. Die wurden im November 2019 vom Amtsgericht Berlin beschlossen und im Februar 2020 durchgeführt. Die Einspeisung in die DAD (4) soll Treffer mit der DNA vom GÜZ, vom Oury Jalloh- Verfahren und der Haarspur in der Tüte von der Hausdurchsuchung 2010 ergeben haben.

Einschätzung zum Ausmaß der Ermittlungen

Die Einschätzung erfolgt anhand der in den Akten vorliegenden Begründung des BKA zur DNA-Entnahme und -Einspeisung.
Zentral in der Begründung ist die Bekanntschaft zur ersten Beschuldigten im DB-Verfahren. Nach den DNA-Treffern auf dem GÜZ wird gegen das antimilitaristische Engagement der zwei Freundinnen ermittelt. Es wird ein riesiges Konstrukt aus Bekanntschaften (z.B. anhand gemeinsamer Kontrollen) und zu anderen Beschuldigten in anderen Verfahren im Bereich Antimilitarismus aufgebaut. Im weiteren Verlauf werden aus Vorwürfen, und eingestellten oder nie eröffneten Verfahren, Tatsachen. Damit soll die Einschätzung begründet werden, dass eine “Wiederholungsgefahr” und Ausübung von “Straftaten von erheblicher Bedeutung” bestünden, die nach §81g StPO für eine DNA-Speicherung gegeben sein müssen. Über die Akten bekamen wir Kenntnis von weiteren Ermittlungsverfahren, in denen die Beiden als Beschuldigte geführt wurden und werden. Es handelt sich dabei um Verfahren zu antimilitaristischen Aktionen, eines davon mit dem Vorwurf der Brandstiftung erheblichen Ausmaßes. Der Bezug auf militante Aktionen bei einer öffentlichen Veranstaltung lässt die beiden für die Bullen zu “geistigen Brandstiftern” und Beschuldigten werden.

Der Umfang der Ermittlungen geht über das hier Beschriebene weit hinaus! In den Akten tauchen zig Personen und Verfahren auf. BKA und LKAs versuchten in den letzten zehn Jahren herauszufinden und zu konstruieren, wer mit wem was gemacht hat, wer zusammen festgenommen oder kontrolliert wurde, wer zusammen Grenzen überquert hat, auf Camps oder Demos im In- und Ausland war. Wer hat mit wem telefoniert, ist wann oder wohin Zug oder Fernbus gefahren?
Wir gehen von Strukturermittlungen aus, um Kontakte und Netzwerke zu durchleuchten. Wir gehen auch davon aus, dass die Polizeiliche Beobachtung der beiden Freundinnen anhält.
Wir haben keine Kenntnis von weiteren Ermittlungsschritten seit der Einspeisung der DNA in die Datenbank, weder im DB- noch in anderen Verfahren.

Wir benutzen das Wort “Freundinnen”, weil es für das BKA immer wieder als ein Indiz für „kriminelle Unternehmungen“ aufgeführt wird, wenn wir Freundschaften zueinander pflegen. Mit “Einige sind betroffen, gemeint sind wir alle” rufen wir hiermit zu mehr gefährlichen Freundschaften und Solidarität auf!


(1) Mobile Equipment Identity erklärt auf Wikipedia

(2) IMSI-Catcher erklärt auf Wikipedia

(3) Spur-Spur-Treffer: Übereinstimmung von Spuren/Merkmalen an zwei verschiedenen Tatorten

(4) DNA-Analyse-Datei: ist eine 1998 zur Speicherung von DNA -Profilen eingerichtete Datenbank für Deutschland. Wird vom Bundeskriminalamt (BKA) zentral betrieben und auch von anderen Polizeien benutzt.


Chronologie

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